Zuwanderungen aus Mittel- und Osteuropa trotz Arbeitsmarktbarrieren deutlich gestiegen
die es Unternehmen aus den mittel- und osteuro-
paischen EU-Mitgliedslandem - nicht zuletzt im
Falle Deutschlands - nicht oder nicht ohne Weiteres
erlaubt, Arbeiten in den „alten“ EU-Staaten (im Fol-
genden EU-15) auszuführen - etwa Bauauftrage.1
Noch gravierender aber ist, dass die Freizügigkeit
für Arbeitskrafte noch nicht voll umgesetzt wurde.
In dieser Hinsicht wurde in den Beitrittsverhand-
lungen vereinbart, dass die EU-15-Staaten selbst
entscheiden konnen, ob und in welcher Form sie
Arbeitnehmern aus den neuen Mitgliedstaaten eine
Arbeitserlaubnis gewahren.2 Allerdings besteht diese
Wahlmoglichkeit nur noch bis 2011. Die einzelnen
EU-15-Staaten sind dabei unterschiedlich verfahren.
Ohne Einschrankungen haben Schweden, Irland und
das Vereinigte Konigreich gleich zu Beginn der EU-
Erweiterung ihren Arbeitsmarkt für Personen aus
den neuen Mitgliedstaaten geoffnet.3 Nach und nach
haben sich dem andere Lander angeschlossen. In
Belgien, Frankreich, Luxemburg und Danemark
wird noch eine Arbeitserlaubnis verlangt, mit der
verhindert werden soll, dass Zuwanderer bestimmte
Tatigkeiten - beispielsweise solche mit einer unterta-
riflichen Entlohnung - ausüben. Besonders restriktiv
verhalten sich nur noch Deutschland und Osterreich,
denn dort erhalten Arbeitnehmer aus den neuen EU-
Staaten grundsatzlich keine Arbeitserlaubnis.4
Angesichts des derzeitigen Beschaftigungsaufbaus
und des damit einhergehenden wachsenden Fach-
kraftemangels hat die Bundesregierung allerdings
zuletzt eine Lockerung der Zuwanderungsbeschran-
kungen für Arbeitnehmer aus den neuen EU-Staaten
angekündigt, wonach Ingenieure der Fachrichtungen
Maschinenbau, Fahrzeugbau und Elektroindustrie
der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt gestatten
werden soll. Damit reagiert die Politik auf die ver-
starkten Klagen vieler Branchen, freie Arbeitsplatze
mangels Bewerbern nicht besetzen zu konnen. Al-
lerdings ist das Meinungsbild unter den heimischen
Arbeitgebern nicht einheitlich. So sprach sich der
Zentralverband des Deutschen Handwerks zuletzt
gegen eine verstarkte Zuwanderung aus und führte
ins Feld, dass das Handwerk seinen Fachkrafte-
bedarf aus eigener Kraft decken konne, zumal die
fahigsten Krafte aus Osteuropa ohnehin bereits in
1 Diese Beschrankung gilt in Deutschland für das Baugewerbe
einschlieβlich verwandter Wirtschaftszweige, Gebaude-, Inventar- und
Verkehrsmittelreinigung sowie für Innendekorationen.
2 Den Mitgliedstaaten wurde dabei u. a. explizit die Moglichkeit
eroffnet, die Freizügigkeit mit Auflagen zu versehen oder den Umfang
der Zuwanderung durch Quoten und Auswahlsysteme zu steuern.
3 Allerdings soll etwa im Vereinigten Konigreich durch die Erteilung
von Bescheinigungen einer Arbeitserlaubnis verhindert werden, dass
Zuwanderungen in die sozialen Unterstützungssysteme stattfinden.
4 In Deutschland konnen nur sogenannte Kontingentarbeitskrafte
- etwa als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft - tatig werden. Das
war aber schon vor der EU-Erweiterung von 2004 der Fall. Zudem
sind einzelne Arbeitskrafte von Unternehmen aus den mittel- und
osteuropaischen EU-Staaten zugelassen, wenn sie über eine Schlüssel-
qualifikation verfügen.
andere Lander abgewandert seien.5 Gegen eine Off-
nung des Arbeitsmarktes argumentiert nach wie vor
der Deutsche Gewerkschaftsbund. Aus seiner Sicht
ist eine Liberalisierung der Zuwanderung nur dann
vertretbar, wenn über das Arbeitnehmerentsende-
gesetz Mindestlohn-Schranken gegen ein Absinken
der Lohne geschaffen werden.
Die EU-Kommission berichtet auftragsgemaβ re-
gelmaβig über die Folgen der Freizügigkeit bzw.
der Regulierungen. In ihrem jüngsten Bericht
kommt sie unter anderem zu dem Ergebnis, dass
die Migrationsstrome aus den neuen EU-Staaten zu
gering gewesen seien, um den Arbeitsmarkt in den
Aufnahmelandern nennenswert zu beeinflussen.6
Die EU-interne Mobilitat von Arbeitskraften lasse
sich durch Zuwanderungsbarrieren kaum aufhal-
ten. Allenfalls würden diese in einzelnen Landern
Anpassungsreaktionen auf den Arbeitsmarkten
verzogern.7
Über die Auswirkungen der Arbeitsmarktoffnung in
den Landern mit den groBzügigsten Freizügigkeits-
regelungen wurden bereits erste, aufschlussreiche
Studien erstellt. In Schweden hielten sich die Zuwan-
derungen aus den mittel- und osteuropaischen Staaten
den vorliegenden Analysen zufolge in engen Grenzen
- 2004 waren es reichlich 4 000 und im folgenden
Jahr knapp 6 000 Personen - nach 2 400 im Jahr
2003.8 Dagegen verzeichnete Irland (bei im Vergleich
zu Schweden kaum halb so groβer Gesamtzahl an
Erwerbstatigen) deutlich mehr Zuwanderung: im Jahr
2005 in einer Groβenordnung von 26 000 Personen.9
Hinweis auf einen sprunghaften Anstieg von Immi-
gration geben die Zuwachse an neu ausgestellten
Personal Public Service Numbers für Personen aus
den neuen EU-Staaten,10 denn deren Zahl ist von
reichlich 10 000 im Jahr 2003 auf 59 000 im Jahr
2004 gestiegen; 2005 waren es 112 000. Ein durchaus
erhebliches Niveau haben die Wanderungen aus den
mittel- und osteuropaischen Staaten in das Vereinigte
Konigreich erreicht. Die Datenlage ist allerdings un-
übersichtlich. Vom 2. Quartal 2004 bis zum 3. Quar-
tal 2006 wurden fast 500 000 Arbeitserlaubnisse für
5 Zentralverband des Deutschen Handwerks: Die Meisterqualifika-
tion ist notwendig im globalen Konkurrenzkampf. Pressemitteilung
des ZDH vom 6. August 2007.
6 Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europaische
Parlament, den Europaischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und
den Ausschuss der Regionen: Bericht über die Anwendung der im
Beitrittsvertrag 2003 festgelegten Übergangsregelungen (Zeitraum
1. Mai 2004 - 30. April 2006). Brüssel 2006.
7 Ebenda, 10 sowie 15.
8 Wadensjo, E.: Post-Enlargement Migration and Labour Market
Impact in Sweden (2006, als Manuskript vervielfaltigt). Doyle, N.,
Hughes, G., Wadensjo, E.: Freedom of Movement for Workers from
Central and Eastern Europe. Experiences in Ireland and Sweden.
Swedish Institute for European Policy Studies, Report Nr. 5, 2006.
9 Ebenda, 52.
10 Eine Personel Public Service Number erhalten in Irland nur
Personen, die dort wohnen und die dort arbeiten oder Anspruch auf
Leistungen der offentlichen Hand haben.
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Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 44/2007