Alfred Schüller
„Retter Europas ist vor allem, wer es vor der
Gefahr der politisch-religios-sozialen
Zwangseinheit und Zwangsnivellierung rettet,
die seine spezifische Eigenschaft, namlich den
vielartigen Reichtum seines Geistes, bedroht.“
Jacob Burckhardt über Europa 1869
1. Problemstellung
In diesem Beitrag werden drei Wege der Integration einer vergleichenden Betrach-
tung unterzogen: Der Erste Weg bezieht sich auf die wettbewerblich-
marktwirtschaftliche (horizontale) Integrationsmethode auf der Grundlage allgemeiner
Regeln. Die Aspekte dieser Methode werden unter der Bezeichnung Wettbewerbspolitik
bzw. Marktintegration zusammengefasst. Der Zweite Weg wird Politikintegration I be-
zeichnet. Als politisch-bürokratische (vertikale) Integrationsmethode dient sie dem An-
spruch eines systematischen Interventionismus, kann deshalb als umfassende Industrie-
politik aufgefasst werden. Diese internationale Form der Planwirtschaft als weitestge-
hende Politisierung und Bürokratisierung des Integrationsgeschehens dient im folgen-
den nur als integrationspolitisches Referenzkonzept Ein Dritter Weg der Integration
entsteht in dem Maβe, wie die Marktintegration mit punktuellen Interventionen kombi-
niert und diese als Bezugspunkt integrationspolitischen Handelns an Bedeutung gewin-
nen. Damit rückt die Industriepolitik der EU unter Einschluβ der Struktur-, Regional-
und Kohasionspolitik ins Blickfeld. Ihr gilt im folgenden die besondere Aufmerksam-
keit. Mit der Ausdehnung des punktuellen Interventionismus verstarken sich die Ten-
denzen zur Politisierung des Integrationsprozesses. Dieser Vorgang, der im Wider-
spruch zur regelgebundenen Marktintegration steht, wird Politikintegration II genannt.
Hintergrund der Problemstellung sind einige ordnungsokonomische Ausgangsfragen.
Diese beziehen sich zunachst auf die reformpolitischen Intentionen der Lissabon-
Strategie, dann auf die Frage, inwieweit Wettbewerbspolitik und Industriepolitik
(Marktintegration und Politikintegration II) im Gemeinschaftsrecht der EU verankert
sind (Kapitel 2.). In den Kapiteln 3. und 5. (unterbrochen durch ein Zwischenfazit in
Kapitel 4.) werden die institutionellen Besonderheiten, die Wirkungen, Gestaltungsfra-
gen und Entwicklungstendenzen des Verhaltnisses von Marktintegration und Politikin-
tegration II in der EU behandelt. Um zu diesem Kern des Vergleichs der verschiedenen
Integrationswege vorzudringen, bedarf es tiefergehender Vorklarungen. Das wird be-
sonders für die Marktintegration angenommen. Das abschlieβende Kapitel 6. beleuchtet
die Gefahren, die Europa von einem Fortschreiten auf dem Dritten Weg drohen.
2. Ordnungsokonomische Ausgangsfragen
2.1. Starkung der Wissensgrundlagen der EU
Mit der „Lissabon-Strategie 2000“ wollte der Europaische Rat aus der Union bis
2010 den „dynamischsten und wettbewerbsfahigsten wissensbasierten Wirtschaftsraum