Alfred Schüller
Iungsvermogen einer Gesellschaft aufgebaut, mobilisiert, koordiniert (vernetzt), bewer-
tet und für das Problem der Minderung der wirtschaftlichen Knappheit und daraus ent-
stehender Konfliktgefahren genutzt wird, hangt nach Auffassung der Ordnungsokono-
men entscheidend von den Regeln (Ordnungsbedingungen oder Institutionen) ab, die
das Verhalten der Menschen im Umgang mit Knappheitserscheinungen und Konflikten2
bestimmen. Ordnungsokonomen sehen die Hauptursache im Mangel an Ordnungsbe-
dingungen, die es den Menschen erleichtern, aus eigenem Konnen und Wollen wohlha-
bend zu werden, ohne bei diesem Streben soziale Dilemmasituationen herbeizuführen.3
Aus dieser Erkenntnis des theoretischen Institutionalismus folgt:
- Regeln konnen den eigeninteressierten Wissens-, Ausbildungs-, Handlungs- und
Aufstiegsdrang, den Wunsch mit anderen Menschen zu kooperieren und solidarisch
zu sein, unbewuβt und ungewollt in den Dienst des allgemeinen Wohls stellen, also
positive externe Effekte hervorrufen.
— Regeln konnen aber auch das Eigeninteresse zu vielfaltigen Kollektivschadigungen
verleiten, etwa: wenn Subventionen und andere Finanzierungsprivilegien es erlau-
ben, mit „weichen“ Budgetrestriktionen zu arbeiten, nachlassig zu kalkulieren und
zu planen, wenn bestimmte Branchen, Regionen, Betriebsgroβen und Arbeitsver-
haltnisse privilegiert werden, wenn es moglich ist, mit rentensuchendem Verhalten
den Staat und die Mitbürger zu schadigen, kurz: wenn mit negativen externen Ef-
fekten die Quellen des Wachstums und der Beschaftigung geschadigt werden kon-
nen. Ein Vergleich der Wirtschaftsentwicklung in Ostdeutschland und in West-
deutschland zwischen 1948 und 1989 zeigt, wie die Menschen auf je eigene Weise
kreativ die Methoden der Wissensschaffung und Wissensnutzung den vorherr-
schenden Ordnungsbedingungen anzupassen verstehen. Dieselben Menschen mit
vergleichbarem Humanvermogen und sachlichem Ressourcenpotential bringen in
unterschiedlichen Ordnungen verschiedene wirtschaftliche Ergebnisse für sich
selbst und für andere hervor.
— Regelwahl und Regelgestaltung sind auf der Ebene der formalen Ordnungsbedin-
gungen des Wirtschaftens letztlich Sache des Staates auf der nationalen oder - im
Falle der EU - auch auf supranationaler Ebene. Für den Ordnungsokonomen ist er-
folgreiche Wirtschaftspolitik in erster Linie Ordnungspolitik - als Teil einer umfas-
senden gesellschaftlichen und politischen Ordnungsaufgabe.
— Ordnungspolitik bedarf der geistigen Vorarbeit, um herauszufinden, wie Regeln
entstehen konnen, wie sie zusammenpassen, ob sie im Parteien- und Verbandswett-
bewerb durchsetzbar sind, welche Wirkungen sie kurz- und langfristig haben und
damit die Qualitat von Gesamtordnungen (den institutionellen Handlungsrahmen
des Wirtschaftens) bestimmen, etwa im Hinblick auf erwartete Ergebnisse.
2 Und hierzu gehort auch der Mangel an legalen Arbeitsmoglichkeiten, an soliden Staatsfinan-
zen sowie an Leistungen der Systeme der Sozialen Sicherung, die den Anforderungen des
methodologischen Individualismus entsprechen.
3 Im Falle von sozialen Dilemmata führt das rationale Handeln der beteiligten Akteure zu Er-
gebnissen, die für sie selbst oder für die Gesellschaft als Ganzes abtraglich sind, ohne daβ für
die Verursacher ein hinreichender Anreiz besteht, mit ihrem Verhalten die Lage für sich und
die Beteiligten zu bessern (Watrin 1999, S. 35 ff.).