Wettbewerbs- und Industriepolitik - EU-Integration als Dritter Weg?



Wettbewerbs- und Industriepolitik

der Welt“ machen. Inzwischen sind sechs Jahre vergangen. Der EU-Raum liegt im in-
ternationalen Wettbewerb um Innovationen, Investitionen, Wachstum und Beschafti-
gung gegenüber den USA, Asien und neu aufkommenden Landern und Regionen wei-
terhin zurück. In einigen Kernlandern der EU bedürfen die Systeme der Sozialen Siche-
rung ebenso einer grundlegenden Sanierung und ordnungspolitischen Neuorientierung
wie die Staatsfinanzen. Es besteht ein drastischer Mangel an Investitionen und Innova-
tionen, die nicht nur durch Kapitalintensivierung die Produktivitat steigern, sondern
zugleich der Dauer- und Massenarbeitslosigkeit nachhaltig entgegenwirken konnten. In
der europaischen Offentlichkeit wird vielfach darin die Unzulanglichkeit der wettbe-
werblich-marktwirtschaftlichen Ordnung schlechthin und der ihr entsprechenden Integ-
rationsmethode gesehen. Angesichts der Ohnmacht, mit der EU-Lander wie Deutsch-
land, Frankreich, Italien und andere etablierte Mitgliedslander den genannten Proble-
men und einer Reihe anderer Probleme gegenüberstehen, müssen sich die mittelosteu-
ropaischen Beitrittslander (MOE-Staaten) mit ungleich bedrohlicheren Krisenpotentia-
len fragen, ob die EU in der heutigen Verfassung der Erwartung gerecht werden kann,
das Hereinwachsen in die Weltwirtschaft zu erleichtern.1

Die Lissabon-Strategie setzt wie jedes zielgerichtete Handeln ein Gesamtkonzept
voraus. Es liegt nahe, daβ die EU-Kommission als „Hüterin der Vertrage“ und als „Mo-
tor der Integration“ initiativ werden soll, um die Mitgliedslander auf einen ordnungspo-
litischen Kurs zu bringen, der es ermoglicht, die krisenhafte Entwicklung der Arbeits-
markte, der Systeme der Sozialen Sicherung und der Staatsfinanzen zu überwinden. Das
setzt voraus, daβ die EU-Lander, auf die es besonders ankommt, die Gründe fur die ent-
standene Lage und die Verfehlung des angestrebten Ziels realistisch einschatzen. Ohne
zutreffende Diagnose wird es auch an einer wirksamen Therapie mangeln.

Einig waren sich die Akteure in Lissabon darin, daβ es gilt, die Wissensgrundlagen
der Gesellschaft zu starken und besser zu nutzen. Diese Schluβfolgerung deckt sich mit
grundlegenden ordnungsokonomischen Erkenntnissen. Danach beruht die Arbeitstei-
lung in offenen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnungen auf Wissensteilung. Und je
mehr es gelingt, die Wissensbasis der Gesellschaft moglichst voll zu nutzen, desto ef-
fektiver kann der Prozeβ der Ressourcengewinnung und des Ressourceneinsatzes sein
(siehe
Hayek 1969, S. 249; Gutmann 1995, S. 152 f.). Wie kommt es aber, daβ trotz
bluhender Computer-, Internet- und Telekommunikationsbranchen und trotz des viel
zitierten Informationszeitalters das Wissenspotential im EU-Raum als Quelle des
Wachstums und der Beschaftigung zu wünschen übrig laβt?

Die weit uberwiegende Zahl von Menschen verfugt uber Wissensdurst, Lern- und
Ausbildungsbereitschaft, einfallsreiches Konnen und Wollen, kurz: Lebenslust. In die-
ser Annahme kann ebenso eine anthropologische Konstante gesehen werden wie in be-
trachtlichen Begabungs- und Motivationsunterschieden in der Gesellschaft. Das oko-
nomische Menschenbild im Sinne des
methodologischen Individualismus beruht jeden-
falls auf der Annahme der Unverlierbarkeit des menschlichen Interesses, in das eigene
Wissen und Konnen zu investieren und daraus Nutzen zu ziehen. Wie dieses Hand-

Zu alternativen Integrationsmoglichkeiten und zum institutionellen Bedingungsrahmen fur
die
Binnen- und Auβenintegration der EU siehe Schüller und Weber 1993, S. 445 ff..



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