Langfristige Wachstumsaussichten der ukrainischen Wirtschaft
Einführung / Kurzfassung
Im Mittelpunkt dieser Studie steht die Analyse des mittel- und Iangerfristigen Wachs-
tumspotenzials der Ukraine sowie der noch bestehenden Engpasse und des Reformbe-
darfs in den wichtigsten Bereichen. Die wirtschaftliche Entwicklung war im Zeitraum
von 2000 bis 2008 im Wesentlichen nachfragegetrieben und basierte auf der Inan-
spruchnahme ungenutzter Kapazitaten. Es spricht einiges dafür, dass sich die ukraini-
sche Wirtschaft bis 2008 der Vollauslastung der Kapazitaten naherte, der Output sich
also am Produktionspotenzial bewegte. Die wachsende (auslandsfinanzierte) Kreditver-
gabe an Unternehmen und Haushalte sowie die Verbesserung der Terms of Trade hatten
die Nachfrage stimuliert und spatestens Ende 2007 zu einer Überhitzung der ukraini-
schen Wirtschaft geführt, was sich u.a. in steigender Inflation ausdrückte. Letztere ist
ein Hinweis darauf, dass zumindest 2008 keine wesentliche Kapazitatsunterauslastung
mehr bestand.
Mit dem massiven Rückgang der weltweiten Nachfrage und der Umkehr der Kapital-
strome im Zuge der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise wurde deutlich, dass sich die
genannten Faktoren der Wirtschaftlichen Aufwartsentwicklung erschopft haben. Künftig
werden „einfache“ Produktivitatssteigerungen durch den Abbau der Überbeschaftigung
und verbesserte Auslastung nicht oder nur mehr begrenzt moglich sein. Die Terms of
Trade haben sich im Zuge der Finanzkrise für die Ukraine deutlich verschlechtert. Der
Umfang der Verbraucherkredite, die den Konsumboom der letzten Jahre ermoglichten,
ist bereits gesunken.
Langfristig rücken daher die Angebotsfaktoren des Wachstums in den Vordergrund.
Dazu zahlen zunachst die Investitionen, die angesichts des veralteten Kapitalstocks im
Durchschnitt des Zeitraums von 2000 bis 2008 unterhalb dessen lagen, was für dauer-
haft aufholendes Wachstum erforderlich ist. Der hohe Anteil des wirtschaftlich obsole-
ten Kapitalstocks in der Ukraine erfordert zum einen hohe Investitionen. Zum anderen
aber kommt es rein rechnerisch zu einer Erhohung der Investitionseffizienz (reziproker
marginaler Kapitalkoeffizient), wenn stark veraltete Maschinen durch neue Anlagen
ersetzt werden. Insofern dürfte eine Modernisierung (Verjüngung) des Kapitalstocks
mittelfristig noch Produktivitatsfortschritte ermoglichen, die zwar niedriger sind als in
der Vergangenheit, aber in enger Verbindung mit der Investitionstatigkeit stehen. Dies
gilt auch dann, wenn die Investitionsquoten nur ausreichen, um die Abschreibung zu
ersetzen.
Eine Erhohung der Investitionsquote wird moglicherweise schwierig, da im Zuge der
Finanzkrise westliche Kreditgeber den Beitrag zur Investitionsfinanzierung über Kredi-
te wegen erhohter Risikoaversion zurückfahren konnten. Dies würde für das weitere
Wachstum bedeuten, dass entweder die Ersparnis erhoht und/oder die Investitionen ver-
ringert werden. Ob die mit einer Ersparniserhohung gleichbedeutende Reduzierung des
offentlichen und privaten Konsums so hoch sein wird, dass die Investitionen unberührt
bleiben, ist (angesichts der sozialen Probleme und auch der zunehmenden Arbeitslosig-
keit) fraglich.
Das Arbeitsangebot leistete bis 2008 nur einen geringen Beitrag zum Wachstum. Not-
wendig für langfristiges Wachstum ist vor dem Hintergrund der rücklaufigen Bevolke-