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solch stark legitimierten und politisierten Entscheidung sehen. Sozial- und steuerpolitische Abstim-
mungen wurden dabei nicht überdurchschnittlich haufig durch den Supreme Court annuliert.
Seit 1978 wurden in den Bundesstaaten deutlich mehr Steuer- und Finanzentscheide dem Wahler
vorgelegt als in früheren Perioden (Magleby 1994: 238). Dieser Anstieg ist ein Indikator für die
Unzufriedenheit mit dem hohen Niveau der Steuern und ist eine Nachwirkung der amerikanischen
Steuerrevolte in den siebziger und Anfang der achtziger Jahre. Eine Hauptursache dieser Steuerre-
volte und des damit verbunden Anstiegs der Volksinitiativen und Volksentscheide liegt in dem dra-
matischen Anwachsen des Miβtrauens in die Regierung (Magleby 1984: 15). Langfristige Mei-
nungsumfragen zeigen hier einen betrachtlichen Anstieg der Unzufriedenheit (Wagschal 1997:
235). Der Erfolg der Proposition 13 im Jahr 1978 in Kalifornien war das auslosende Fanal fur den
Steuerprotest. Diese Verfassungsinitiative führte zu einer Reduktion der Grundsteuer von 2½% auf
1% und erschwerte die Steuererhebung auf lokaler und Landesebene. Diese Vorlage stimulierte
ahnliche Initiativen in vielen anderen Bundesstaaten (Folkers 1983; Reis 1986; Stocker 1991) und
fuhrte zusammen mit weiteren erfolgreichen Volksinitiativen (z.B. „spending limits“) zu verringer-
ten Einnahmen und Ausgaben in Kalifornien.
Die effektivste Interessengruppe in Kalifornien, die Volksinitiativen zur Begrenzung der Steuerein-
nahmen unterstutzt, ist die Howard-Jarvis-Taxpayer-Association. Seit dem Erfolg von Propostion
13 hat diese Vereinigung sieben weitere Vorlagen zur Abstimmung gebracht, wovon drei erfolg-
reich waren. Aber auch andere restriktive Vorlagen wurden angenommen, wie die Proposition 4
(74,3% Ja-Stimmen) aus dem Jahr 1979 (das sogenannte „Gann-Limit“), welches das Wachstum
von Steuern und Ausgaben anhand der Inflation und des Bevolkerungswachstums begrenzte und
Steuerruckzahlungen bei Haushaltsuberschussen vorsah (Stocker 1991: 3). Insgesamt gesehen wa-
ren die Vorlagen der Steuerzahlervereinigung trotz ihrer Radikalitat erfolgreicher als herkommliche
Volksinitiativen. Die Konsequenzen und Nachwirkungen der Steuerzahlerrevolution waren drama-
tisch. Auf der einen Seite erlebte Kalifornien, der groβte und reichste Bundesstaat der Vereinigten
Staaten, ein enormes Wirtschaftswachstum - Proposition 13 gilt als Wendepunkt hin zu einer ange-
botsorientierten Wirtschaftspolitik in Amerika (Bauer 1996: 133) -, wahrend auf der anderen Seite
die Armut, entgegen dem Bundestrend, ebenfalls anstieg. Auch die Einkommensungleichheit wuchs
schneller als in anderen Bundesstaaten. Ebenso sind die offentlichen Finanzen in Kalifornien in ei-
ner schlechteren Verfassung als in vergleichbaren anderen Bundesstaaten. Dieser engere finanzielle
Spielraum hatte zudem Auswirkungen auf die Finanzierbarkeit der Sozialpolitik.
Ein weiterer Grund fur das vergleichbar niedrige Niveau der offentlichen Ausgaben und der Be-
steuerung in Kalifornien sind die verfassungsrechtlichen Hurden in der kalifornischen Verfassung.
Diese schreiben Beschrankungen fur Steuern (Artikel XIII A), Ausgaben (Artikel XIII B) und die
Staatsverschuldung (Artikel XVI) vor. Daneben gibt es die verfassungsrechtliche Erfordernis quali-
fizierter Mehrheiten fur bestimmte Entscheidungen im Finanzbereich (Artikel XVI), sogenannte
super majorities. Ebenso dampft die Erfordernis der Abstimmung jeder Kreditaufnahme (Artikel
XVI) die Staatstatigkeit. Sicher sind diese Vorschriften nicht immer wirksam, da sie im alltaglichen
politischen Geschaft manchmal umgangen werden, doch langfristig stellen sie ohne Frage eine hohe
Hurde der staatlichen Steuerungsfahigkeit dar. Der retardierende Effekt der direkten Demokratie