1. Einleitung
Direktdemokratie ist en vogue. Die Stimmen nach „Mehr Demokratie“, so der Name des bedeu-
tendsten Lobbyverbandes fur Direktdemokratie in Deutschland, besserer und Starkerer Demokratie
(Barber 1984) sowie nach mehr Partizipationsmoglichkeiten werden unüberhorbar lauter. Politik-
und Parteienverdrossenheit, Àmterfilz und Parteienpatronage (von Arnim 1996: 416) sollen mit der
süβen Medizin Direktdemokratie geheilt werden. Ja selbst der gordische Konten des vielbeschwo-
renen Reformstaus soll durchschnitten werden konnen (Die ZEIT vom 18. April 1998). Diese posi-
tive Einschatzung war nicht immer so. In der Antike genoβ die Direktdemokratie weithin einen
schlechten Ruf. Aristoteles ordnete sie den Verfallsformen seiner Staatsformenlehre zu. Insbesonde-
re unterstellte er der direkten Demokratie, daβ sie eine Wankelmütigkeit der Bürger hervorriefe
sowie eine Herrschaft der Armen über die Reichen bewirke. Auch heute noch lehnen viele einfluβ-
reiche Staatsrechtslehrer, wie beispielsweise Rupert Scholz (1993), die Einführung direktdemokra-
tischer Elemente in die Verfassung mit Hinweis auf das - inzwischen langst widerlegte (Jung 1989)
- Beispiel der Weimarer Republik ab. Gleichwohl hatte die Volksinitiative und das Referendum in
der Gemeinsamen Verfassungskommission nach der deutschen Einheit keine Chance, Eingang in
das Grundgesetz zu finden (Batt 1996), obwohl es inzwischen in allen Bundeslandern direktdemo-
kratische Beteiligungsmoglichkeiten gibt. Befürworter des Reprasentationsprinzips weisen ferner
auf die Problemkomplexitat hin, die zu einem Zwang an Spezialisierung und Arbeitsteilung führt.
Komplexe Sachentscheidungen verlangten ein hohes Maβ an Sachverstand und dieser, so die Ver-
treter des Rationalitatsarguments, sitze im Parlament (Oberreuter 1996: 271). Dabei ist dieses Ar-
gument nur bedingt richtig, denn selbst bei hoherer individueller Kompetenz der (geringen) Zahl
der Abgeordneten, kann die Wahrscheinlichkeit einer Fehlentscheidung bei einer Volksentscheidung
wegen der hohen Zahl der Abstimmenden geringer sein (Nurmi 1997). Schlieβlich hat für viele
Beobachter auch das Verdikt des ersten Bundesprasidenten Theodor Heuss, wonach die Direktde-
mokratie eine Pramie für Demagogen sei, immer noch Gültigkeit.
Ein unterbelichteter Aspekt dieser Diskussion ist der Einfluβ der direkten Demokratie auf die
Staatstatigkeit. Wie wirken sich Volksabstimmungen auf die staatliche Sozialpolitik aus? Kommt es
zu einer Zügelung sozialpolitischer Intervention oder geht von der Direktdemokratie eine Schub-
wirkung bezüglich der Sozialpolitik aus? Mit welchen strukturellen Effekten sind direktdemokrati-
sche Entscheide verknüpft und was sind die Auswirkungen auf das Niveau der Staatsausgaben und
-einnahmen? In diesem Beitrag wird versucht, die Starke und Richtung des Effekts direktdemokra-
tischer Entscheidungen auf dem Gebiet der Sozialpolitik herauszuarbeiten. Zu diesem Zwecke wer-
den die sozialpolitischen und fiskalischen Volksabstimmungen in der Schweiz sowie in Kalifornien
analysiert, weil in beiden Gemeinwesen direktdemokratische Arrangements besonders weit verbrei-
tet sind. Die Tatsache, daβ es sich im einen Fall um einen Bundesstaat, im anderen um einen
Gliedstaat mit eingeschrankten sozialpolitischen Regulierungskompetenzen handelt, stellt keine
Einschrankung der Fragestellung dar, weil der Beitrag versucht, den Nettoeffekt und die Wir-
kungsrichtung direktdemokratischer Entscheide auszuloten. Durch die Berücksichtigung der fi-
nanzpolitischen Steuer- und Ausgabenentscheidungen wird zudem ein starkerer Fokus auf die Fi-
nanzierungsseite des Sozialstaates gelegt, der bei einer rein outputorientierten Analyse des Po-