Der Einfluß der Direktdemokratie auf die Sozialpolitik



2.1. Das Niveau der Staatstatigkeit in der direkten Demokratie

Das Charakteristische Merkmal der direkten Demokratie besteht darin, daβ gewohnlich nur eine
einzige Vorlage zur Abstimmung kommt, wahrend in der reprasentativen Demokratie die Wahler
über Parteien oder Personen entscheiden. Die Transformation der Wahlerpraferenzen über die Par-
teien oder Personen führt zu Entscheidungen über Programmpakete. Im Falle der direkten Demo-
kratie kann die Abstimmung über ein Budget mit dem Medianwahlermodell erklart werden. Die
Wahler werden in diesem Modell sowohl als Konsumenten als auch als Steuerzahler betrachtet. Das
Entscheidungsverfahren ist die einfache Mehrheitsregel. Jeder Wahler weist bestimmte Praferenzen
hinsichtlich der Versorgung mit Offentlichen und privaten Gütern auf, wobei diese Praferenzen
durch die individuellen Zahlungsbereitschaften gemessen werden. Wahrend in dem Medianwahler-
modell die Abstimmung mit verschiedenen Alternativen beginnt, wird in Wirklichkeit in der Regel
nur über einen Vorschlag abgestimmt. Ausnahmen sind konkurrierende Initiativen in Kalifornien
oder Volksinitiativen in der Schweiz, die gleichzeitig mit Gegenentwürfen der Bundesversammlung
zur Abstimmung gestellt werden. In einem interaktiven AbstimmungsprozeB, so die Theorie, errei-
chen die Individuen eine Übereinstimmung in der Medianwahlerposition (Bernholz/Breyer 1984:
66; Blankart 1994: 109). Durch Verhandlungen gelingt es namlich dem Medianwahler, die Kontra-
henten auf sein Niveau zu fixieren, indem er dem jeweiligen anderen Partner signalisiert, daB der
andere Kontrahent bereit ist, sich weiter auf sein Angebot hinzuzubewegen. Im Endeffekt bestim-
men die Praferenzen des Medianwahlers die HOhe der Offentlichen Ausgaben. Nimmt man realisti-
scherweise an, daβ eine linkssteile Einkommensverteilung vorliegt, dann liegt das Medianwah-
lereinkommen unterhalb des Durchschnittseinkommens einer Gesellschaft. Unterstellt man ferner,
daβ der Medianwahler auch das Medianeinkommen aufweist und daβ ein Steuersystem mit propor-
tionalen oder progressiven Steuersatzen vorliegt, so führt dies zu einer Einkommensumverteilung.

Dieses theoretische Ergebnis basiert jedoch auf rigiden Annahmen. Erstens sind die Praferenzen der
Wahler nicht unimodal. Der Zwang zur Entscheidung zwischen einem privaten und einem Offentli-
chen Güterbündel ist in theoretischen Public Choice Modellen insofern einfach zu behandeln, als
diese lediglich eine binare Struktur aufweisen. Realiter sind Praferenzen weitaus starker differen-
ziert und hangen zudem von temporaren Vorlieben sowie dem jeweiligen Niveau des Einkommens
und VermOgens ab. Das Medianwahlermodell führt also nicht notwendigerweise zu eindeutigen
Ergebnissen, vor allem dann nicht, wenn eine paarweise Abstimmung der Alternativen vorgenom-
men wird. Unter diesen Bedingungen ist es nicht mOglich, eine rationale und transitive Auswahl der
Entscheidungen festzulegen (Condorcet Paradox). Zweitens kann das Trittbrettfahrerproblem nicht
ausgeschlossen werden. Die Steuerbürger enthüllen nicht immer ihre wahren Praferenzen hinsicht-
lich der Güterversorgung, sondern neigen eher dazu, diese zu verschleiern, wodurch ein Offentliches
Gut nicht oder nur in ungenügendem Ausmaβ bereitgestellt wird. Ein drittes Problem ist die strate-
gische Bildung von Wahlerkoalitionen, sogenannter „minimum winning coalitions“, die zu uner-
wünschten Verteilungswirkungen führen kOnnen (Riker 1962).



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