Der Einfluß der Direktdemokratie auf die Sozialpolitik



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Regierung disziplinieren und sie so zwingen, auf Reformprojekte zu verzichten oder diese in ihrem
Inhalt abzuschwachen. Auch in diesem Fall weist die Volksabstimmung einen indirekten bremsen-
den Effekt auf.

Experimente zu Entscheidungsprozessen haben nachgewiesen, daβ bei Entscheidungen zwischen
dem gegenwartigen Ist-Zustand und einem Alternativzustand der Status quo einen strategischen
Vorteil besitzt. Dieser Status quo Bias (Samuelson/Zeckhauser 1988) wird unter anderem auf
Transaktionskosten (Such- und Informationskosten) und auf asymmetrische Information zurückge-
führt. Der Ist-Zustand ist in der Regel bekannt, wahrend die Entscheidung für eine neue und zu-
meist weniger bekannte Alternative Risiken birgt. Risikoaverse Individuen optieren daher für die
Beibehaltung des Status quo, um eventuell auftretende Verluste zu vermeiden. AuBerdem sind
viele Individuen auf den Ist-Zustand festgelegt, da oftmals eine Art „moralisch“ oder
„psychologisch“ enge Beziehung besteht, die aus vergangenen Investitionen in diesen Zustand re-
sultiert. Neuere Forschungen unterstützen diese Befunde, differenzieren jedoch zwischen hochgra-
digen Praferenzen für den Status quo (Status quo Bias) und hohen Praferenzen für Nichthandeln,
dem sogenannten omission
-effect (Schweitzer 1994).

Auf der Individualebene ergibt sich überdies ein Problem der Praferenzaggregation und der Parti-
zipation. Bezieher niedriger Einkommen haben starkere Praferenzen für Staatsausgaben. In der Re-
gel sind dies die Kernwahlerschaften linker Parteien. Wohlhabendere Bürger wahlen in der Ten-
denz eher bürgerliche Parteien, wobei eines ihrer Hauptziele darin besteht, weniger Steuern zu be-
zahlen. Diese Wahlerschaft der bürgerlichen Parteien profitiert in weitaus starkerem MaBe von
Steuersenkungen als die Wahlerschaft linker Parteien. Da hier Beteiligungsquoten und finanzielle
Ressourcen hoher sind als die der niedrigen Einkommensgruppen, werden sie in der Regel erfolg-
reicher an der Wahlurne sein. Dieser Effekt (Wagschal 1996) ist tendenziell starker in Landern mit
einer groBen Mittelschicht und einem Vorherrschenden liberal-konservativen politischen Klima wie
in der Schweiz und in den Vereinigten Staaten.

Wann entfaltet die Direktdemokratie nun ihre bremsende Wirkung? Eine wesentliche Vorausset-
zung dafür, daβ die Direktdemokratie als Hemmnis für die Staatstatigkeit wirken kann, ist ihr re-
gelmaβiger Gebrauch. Dazu gehort auch die Moglichkeit für die Bürger, einen Volksentscheid zu
initiieren oder das Referendum gegen eine von der politischen Elite getroffene Entscheidung zu er-
greifen. Zudem sollte das direktdemokratische Instrumentarium moglichst weit ausdifferenziert
sein, was beispielsweise in Australien, Italien und Danemark als Lander mit relativ haufigen di-
rektdemokratischen Abstimmungen nicht gegeben ist. Insbesondere wenn Staatstatigkeitsbereiche
aus dem Zugriffsbereich des Souverans herausdefiniert werden, wie Vorlagen über Finanzen, Steu-
ern, Pensionen und das politische Personal, fehlt der notige Bremskraftverstarker. Es bestehen
dann nur unzureichende Moglichkeiten für eine Opposition, über den Weg der direkten Demokratie
eine Regierung zu disziplinieren.

3. Maβnahmentypologie und Analyseraster

Der Nettoeffekt direktdemokratischer Entscheide auf die Sozialpolitik kann nur über eine Auswer-
tung samtlicher direktdemokratischer Abstimmungen abgeschatzt werden. Zur systematischen Un-
tersuchung der unterschiedlichen Effekte der Direktdemokratie in der Schweiz und in Kalifornien
werden die einzelnen Abstimmungen anhand einer für beide Falle anwendbaren Policy-Typologie
untersucht. Solche Policy-Klassifikationen haben eine gewisse Tradition in der Politikwissenschaft.



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