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Tabelle 1: Sozialpolitisch relevante Plebiszite in der Schweiz 1848-1998, gegliedert nach The-
menbereich und Abstimmungstyp
Themenbereich |
Obligatorische |
Fakultative |
Initiativen |
Insgesamt |
Sozialversicherung/Fürsorge |
6 |
15 |
10 |
31 |
Arbeitsrecht, Arbeiterschutz |
1 |
8 |
7 |
16 |
Arbeitszeit |
0 |
1 |
3 |
4 |
Konsumenten- und Mieter- |
3 |
1 |
4 |
8 |
schutz, Wohnungsbau | ||||
Gleichstellung |
1 |
0 |
0 |
1 |
Σ |
11 |
25 |
24 |
60 |
Der Anteil der so abgesteckten sozialpolitischen Abstimmungen an der Gesamtzahl aller Plebiszite
betrug rund 13%. Tabelle 1 zeigt, daβ bezüglich der Instrumente der direkten Demokratie Volksi-
nitiativen und fakultative Referenden dominieren, wobei in inhaltlicher Hinsicht sozialversiche-
rungsrechtliche und - bereits mit Abstand - arbeitsrechtliche Vorlagen überwiegen.
4.3.1. Obligatorische Referenden
Der Bund hatte gemaβ der ursprünglichen Bundesverfassung von 1874, abgesehen von der Befug-
nis zur Regulierung der Arbeitsverhaltnisse in Fabriken, keine sozialpolitische Kompetenzen. Der
sozialpolitische GesetzgebungsprozeB war damit auf zwei Phasen aufgeteilt. Ausgangspunkt jeder
sozialpolitischen Reform bildete zunachst die Schaffung einer Verfassungsgrundlage, auf deren
Basis der Bund in einem zweiten Schritt ein Ausführungsgesetz erlassen konnte. Im Gegensatz zum
generellen Trend, wo jedes vierte obligatorische Referendum scheitert, wurde trotz des doppelten
Zustimmungserfordernisses bislang kein einziger sozialpolitischer Kompetenzartikel verworfen.
Allerdings hat die Zweiphasengesetzgebung den sozialpolitischen EntscheidungsprozeB betrachtlich
in die Lange gezogen. Im Bereich der Sozialversicherung erstreckte sich die Verlagerung von Ge-
setzgebungskompetenzen auf den Zentralstaat über annahernd 60 Jahre, wobei einige Verfassungs-
artikel wegen ihrer prajudizierenden Wirkung auf die entsprechenden Ausführungsgesetze zum Teil
jahrelang umkampft waren und über KompromiBregelungen referendumsfest gestaltet werden
muBten (Sommer 1978; Obinger 1998). Bemerkenswert ist der Umstand, daβ vier Verfassungsarti-
kel Gegenentwürfe zu einer zurückgezogenen Volksinitiative darstellen und daher auf Druck von
„unten“ angeregt wurden. Hier zeigt sich ein Katalysatoreffekt der direkten Demokratie.
4.3.2. Fakultative Referenden
Heftig umkampft war die zweite Phase des sozialpolitischen Gesetzgebungsprozesses. Obwohl
auch im Bereich der Sozialpolitik nur gegen einen Bruchteil des parlamentarischen Outputs das
Referendum ergriffen wird, pragten einige der 25 fakultativen Referenden Struktur und Entwick-
lungstempo des schweizerischen Sozialstaates nachhaltig. Abgesehen von einer Ausnahme