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wurde. Das von der Zürcher Handelskammer gegen das im Parlament einhellig beschlossene Ge-
setz ergriffene Referendum hatte im Jahr 1900 Erfolg. Nach anfanglichem Schock konzipierte der
Bundesrat ein Zweitgesetz, bei dem den Gegnern weitestgehende Zugestandnisse gemacht wurden
(Krumbiegel 1913). Die Arbeitgeber wurden von der Beitragspflicht befreit, landwirtschaftliche
und gewerbliche Arbeitnehmer wurden aus der obligatorischen Unfallversicherung herausgenom-
men, wahrend in der Krankenversicherung auf eine Versicherungspflicht verzichtet wurde. Der
Bund konzentrierte sich auf die Normierung von Mindestvorschriften für die Kassen, bei deren
Erfüllung er Mittel zur Pramiensubventionierung an die Kassen ausschüttete. Lediglich für die Un-
fallversicherung hielt der Bundesrat am Versicherungsmonopol einer Offentlichen Kasse fest, was
fur die Krankenkassen den Ausloser bot, auch gegen den Zweitentwurf - allerdings erfolglos - das
Referendum zu ergreifen. Anstatt wie intendiert dem Pfad Bismarckscher Sozialpolitik zu folgen,
muβte sich der Bund referendumsbedingt auf die Schaffung eines liberalen Rahmengesetzes be-
schranken, welches trotz zahlreicher Reformversuche aufgrund Referendumsdrohungen der Àrzte
und Krankenkassen sowie Referendumsniederlagen (Immergut 1992) in seinen Grundzugen bis
1994 bestehen blieb.
Der dritte referendumsinduzierte Effekt ist ein starker Ausgabenniveaueffekt mit fiskalisch restrikti-
ver Wirkung. Soziale Sicherung kostet Geld. Der fiskalische Handlungsspielraum des Bundes ist
jedoch wegen des fOderalen Staatsaufbaus und der direkten Demokratie beschnitten. In der Schweiz
stehen deshalb eher die Zeichen auf Haushaltskonsolidierung, denn auf Expansion. Die Schaffung
neuer Einnahmen zur Einrichtung sozialer Sicherungsprogramme sieht sich stets mit einem fakulta-
tiven oder obligatorischen Referendum konfrontiert, zumal entweder neue Steuern eingefuhrt oder
kantonale Steuereinnahmen oder -kompetenzen an den Bund ubertragen werden mussen.
Um die fiskalischen Auswirkungen der fakultativen Referenden wie auch der ubrigen direktdemo-
kratischen Instrumente genauer zu analysieren, wurden alle 448 Referenden entlang von drei Klas-
sifikationskriterien weiter untersucht. Von diesen 448 Abstimmungen waren 125 haushaltspolitisch
relevant, darunter auch einige sozialpolitische Vorlagen. Das erste Kriterium ist die Policy-Wirkung
der Abstimmungsvorlage, die sechs Auspragungen aufweist. Eine Vorlage kann steuererhOhend
oder steuerbegrenzend, ausgabenerhOhend oder ausgabenbegrenzend sowie steuerverteilend sein.
Als Residualkategorie bleiben noch solche Vorlagen, die eine unklare oder neutrale Wirkung besit-
zen. Das zweite Unterscheidungskriterium ist der Referendumstyp (obligatorisches Referendum,
fakultatives Referendum und Volksinitiative). Beim dritten Kriterium wurde schlieβlich danach
gefragt, ob das Referendum angenommen oder verworfen wurde. Jede Entscheidung wurde nur
einmal klassifiziert, obwohl oftmals die einzelnen Entscheidungen mehrere Wirkungen aufweisen
kOnnen, wobei im Zweifelsfall nach Intention und der saldierten Wirkung der Vorlage gefragt wur-
de.
Klammert man die steuerverteilenden Referenden (die unstrittig waren) sowie die hinsichtlich ihrer
fiskalischen Wirkung unklaren Referenden aus und betrachtet man nur die Abstimmungen mit ex-
pansiver bzw. restriktiver fiskalischer Wirkung (insgesamt 112 Abstimmungen), ergibt sich ein
deutliches Bild bezuglich der Auswirkung der Schweizer Referendumsdemokratie (Tabelle 6). Da-
bei weisen angenommene steuer- und ausgabenerhOhende Entscheide sowie abgelehnte steuer- und