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4.3.4 Zusammenfassung
Der Einfluβ der direkten Demokratie auf die schweizerische Sozialpolitik variiert in Abhangigkeit
der einzelnen direktdemokratischen Instrumente und der wohlfahrtsstaatlichen Entwicklungsphasen.
Das fakultative Referendum wurde in der sozialstaatlichen Konstituierungsphase von rechtsbürger-
lichen und wirtschaftlichen Ineressengruppen erfolgreich dazu instrumentalisiert, den Take-off bun-
desstaatlicher Sozialpolitik zu torpedieren, wahrend die zumeist von der Linken lancierten Volksini-
tativen keine Schubwirkung entfalten konnten. Die Direktdemokratie ist in dieser Phase ein Schlüs-
selelement zur Erklarung der im internationalen Vergleich sehr spaten Konstituierung zentraler So-
zialversicherungsprogramme. Im goldenen Zeitalter des Wohlfahrtsstaates nach 1945 kam es vor
dem Hintergrund exzeptioneller Okonomischer Rahmenbedingungen auch in der Schweiz zum
Durchbruch des Wohlfahrtsstaates, der durch das fakultative Referendum nicht sanktioniert, son-
dern indirekt auch von zahlreichen Volksinitiativen mitgetragen wurde. Seit dem Okonomischen
Einbruch Mitte der 70er Jahre nimmt auch die Zahl der sozialpolitischen Referenden wieder zu.
Einseitige, d.h. ausschlieβlich expansive aber auch restriktive, Vorlagen haben dabei geringe Er-
folgschancen an der Stimmurne, wahrend Vorlagen, die sozialpolitische Verbesserungen mit punk-
tuellen Restriktionen verknüpfen, eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit aufweisen. Solche innerhalb
von mehrdimensional verschachtelten Verhandlungssystemen akkordierte Vorlagen, die den ver-
schiedenen Interessen der schweizerischen Konkordanzdemokratie Rechnung tragen (Armingeon
1998), bilden das dominante Muster der gegenwartigen schweizerischen Sozialpolitik.
5. Direktdemokratie und Sozialpolitik in Kalifornien
5.1. Instrumente und Wirkungen
In den Vereinigten Staaten haben bis auf Delaware alle Bundesstaaten direktdemokratische Elemen-
te in ihre Verfassung aufgenommen (Stelzenmüller 1994). Neben dem Verfassungsreferendum
weisen rund die Halfte aller Bundesstaaten weitergehende Moglichkeiten der Volksgesetzgebung
wie Gesetzesreferendum, Volksinitiativen und Recall auf. AuBerdem besteht bis auf drei Gliedstaa-
ten in allen Bundesstaaten die Moglichkeit, auf lokaler Ebene Volksentscheide durchzuführen.
Staaten an der Westküste bieten ihren Bürgern mehr Moglichkeiten der direkten EinfluBnahme als
Ostküstenbundesstaaten (Ranney 1978; Magleby 1984; Magleby 1994). Gemessen an der Zahl der
Entscheidungen liegen Kalifornien, Oregon, und Nord Dakota an der Spitze der Bundesstaaten,
wobei der Fall Kaliforniens als wirtschaftlich starkster und bevolkerungsreichster Bundesstaat der
USA besonders interessant und gut dokumentiert ist (Billerbeck 1989; Mockli 1994; Bauer 1996;
Glaser 1997). Dabei konnen in Kalifornien, neben dem Recall, im wesentlichen fünf unterschiedli-
che Instrumente der direkten Demokratie unterschieden werden.