Nachfolgestaaten Jugoslawiens: Auf dem Weg in die Europaische Union?
aufwerfen - keine grundlegenden Probleme auf.
Die Maastricht-Kriterien, die hier allerdings offizi-
ell nicht zugrunde gelegt werden, sind inzwischen
weitgehend erfüllt. Indes sind die Budgetstrukturen
sowohl auf der Ausgaben- als auch auf der Einnah-
menseite nicht immer effizient. Die Reduzierung
von Subventionen für staatseigene Betriebe, aber
auch die Umstrukturierungen von Ausgaben zu-
gunsten Wachstumsfordemder Investitionen - auch
in die hâufig mangelhafte Infrastruktur - bleiben
bisher unzureichend.
Problematisch war zumeist die auβenwirtschaftliche
Entwicklung. Die traditionell starke Spezialisierung
einzelner Republiken des ehemaligen Jugoslawien,
so etwa Kroatiens auf Schiffbau und Tourismus,
Mazedoniens und Montenegros auf Schwerindustrie
und Metalle, führte zu groβen Problemen, weil die
früheren Handelsstrukturen zwischen den Republi-
ken Jugoslawiens zunâchst vielfach obsolet wurden.
Dies trug - neben den Kriegsfolgen - zu dem hohen
Importbedarf der einzelnen Lânder bei. Hinzu kam
die unzureichende internationale Wettbewerbsfâhig-
keit. Besonders groβ sind die Probleme für Bosnien
und Herzegowina, wo das Leistungsbilanzdefizit,
gemessen in Relation zum Bruttoinlandsprodukt, in
den letzten Jahren bei rund 20 Prozent lag.
Landerspezifische Entwicklungen
Obwohl sich viele der okonomischen Probleme in
den NEJ sehr âhneln, divergieren die Interessenla-
gen der einzelnen Staaten von den Zielsetzungen
beim Aufbau der Infrastruktur bis hin zur Auseinan-
dersetzung über die Kosovo-Region so sehr, dass
sowohl eine okonomische als auch eine politische
Zusammenarbeit und eine nachhaltig friedliche
Entwicklung der Gesamtregion nur unter dem Dach
der Europâischen Gemeinschaft vorstellbar schei-
nen. Vielfach sind die Probleme aber auch typische
Folgen des Übergangs von einer Planwirtschaft zu
einer Marktwirtschaft, wobei die Frage des effizi-
enten Einsatzes der Ressourcen oder des Aufbaus
eines adâquaten Banken- und Finanzwesens eine
zentrale Rolle spielen. Im Rahmen des Stabilitâts-
paktes wurden in den NEJ zahlreiche nationale und
internationale Organisationen tâtig, die auch dazu
beigetragen haben, die akuten okonomischen und
institutionellen Probleme zu analysieren und durch
Reformen zu entschârfen.
Bosnien und Herzegowina
Die Situation in Bosnien und Herzegowina ist auch
heute noch, elf Jahre nach dem Krieg, besonders
schwierig. Die komplexe politische und râumliche
Struktur mit zwei staatlichen Einheiten und drei
ethnischen Volksgruppen (Bosniaken, Kroaten und
Serben) und Religionen hemmt gemeinsame Ent-
scheidungen zu notwendigen Reformen, mangelnde
Rechtssicherheit und ein hohes Maβ an Korruption
belasten die Lage zusâtzlich.7 Noch immer muss
die EUFOR-Truppe der Europâischen Union den
Frieden im Land gewâhrleisten, noch immer gibt
es den von der internationalen Gemeinschaft ein-
gesetzten „Hohen Reprâsentanten“, der letztlich
noch über der Zentralregierung des Landes, die nur
eingeschrânkte Kompetenzen hat, steht. Nach dem
Krieg war ein Drittel aller Hâuser zerstort, und die
Wirtschaftskraft hat trotz der Erholung in den letzten
Jahren erst die Hâlfte des Niveaus der Vorkriegszeit
erreicht. Auch die meisten groβen Betriebe sind
zerstort oder heute unrentabel. Die feste Bindung
der bosnischen Wâhrung zunâchst an die Mark und
dann an den Euro hat immerhin eine stabile Preis-
entwicklung zur Folge gehabt, jedoch ist die offi-
zielle Arbeitslosigkeit mit deutlich über 40 Prozent
weiterhin extrem hoch. Positiv entwickelt haben
sich dagegen der Handel und der Dienstleistungs-
sektor, auch ist Bosnien gegenwârtig der einzige
Nettoexporteur von Energie. Die Schwerpunkte der
europâischen und deutschen Hilfe liegen âhnlich wie
in Montenegro und Serbien bei einer Verbesserung
der Infrastruktur und dem Aufbau eines effizienten
Finanzwesens, auch zur Forderung der kleinen
und mittleren Unternehmen (KMU). Allerdings
sind die Durchsetzung von Reformen oder auch
nur die Schaffung effizienter marktwirtschaftlicher
Strukturen angesichts der komplexen politischen
Strukturen besonders schwierig, so dass insbeson-
dere für eine stârkere Aktivitât von KMU kein sehr
attraktives Umfeld vorhanden ist. Wegen der groβen
sozialen und Arbeitsmarktprobleme müssen auch
die sozialen Sicherungssysteme vollig neu gestaltet
werden, zumal sich die Situation mit der erforderli-
chen Privatisierung der groβen staatlichen Betriebe
noch verschârfen dürfte. Zwar strebt auch Bosnien
und Herzegowina langfristig einen EU-Beitritt an,
jedoch dürfte dies - gelingt ein solcher Beitritt
nicht im Rahmen eines Beitrittsarrangements für
die „Reststaaten“ des früheren Jugoslawiens - sehr
langwierig sein.
Kroatien
Abgesehen von dem in dieser Untersuchung nicht
betrachteten Sonderfall Slowenien ist Kroatien un-
ter den groβeren Balkanlândern das Land mit der
groβten Offenheit gegenüber der EU, mit der rund
70 Prozent des Auβenhandels abgewickelt werden.
Kroatien ist bereits seit 2004 - also noch lânger als
7 Ein hohes Maβ an Korruption kennzeichnet alle NEJ-Staaten. Nach
dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International,
bei dem Danemark als Land mit der niedrigsten Korruption auf Platz 1
und Deutschland auf Platz 16 liegen, findet sich Kroatien auf Platz 64.
Die anderen NEJ-Staaten kommen gar erst aufden Platzen 79 bis 85.
Vgl. Transparency International: Annual Report 2007.
766 Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 50/2007