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Alfred Schüller
halb auch die entscheidende Handlungsgrundlage für die Binnenintegration6 und für
Bestrebungen der Kommission und des Europaischen Gerichtshofs gesehen werden, die
Reformanstrengungen zu verstarken, um die Wissensgrundlagen für mehr Wachstum
und Beschaftigung zu verbessern.
Die Sektoren und Regionen übergreifende gemeinsame Wettbewerbspolitik hat, wie
gesagt, Vorrang vor nationalen wettbewerbspolitischen Bemühungen.7 Die hierfür in-
zwischen auch von Brüssel verwendete Bezeichnung „horizontale“ Integrationsmethode
(Kommission der EU 2002) beruht auf einem bestimmten ordnungsokonomischen Kon-
zept, namlich dem Verstandnis vom Marktssystems als einem unzerlegbaren Prozeβ
(siehe Kapitel 3.1.) - als ein grundlegendes Prinzip des Ersten Weges.
Im Widerspruch zur marktwirtschaftlich ausgerichteten Wettbewerbspolitik der EU
stehen wettbewerbsverzerrende nationale Subventionen (Beihilfen), Regionalsubventio-
nen, offentlich-rechtliche und staatliche Banken, grenzüberschreitende Buchpreisbin-
dungen, „goldene Aktien“, mit deren Hilfe - wie im Fall der deutschen Volkswagen AG
- der Übernahmewettbewerb behindert wird, vielfach privilegierte staatliche oder quasi-
staatliche Handelsmonopole wie Post, Telekommunikation, der offentlich-rechtliche
Rundfunk, die von Anfang an bestehenden Bereichsausnahmen vom Wettbewerb wie
die Europaische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), die EG-
Agrarmarktordnung, die Verkehrs-, Strom- und Wasserwirtschaft, die Wohnungswirt-
schaft, groβe Teile des Dienstleistungsangebots (in den Bereichen Gesundheit, Hand-
werk, Handel, Gewerbe, Freie Berufe usw.).
Inzwischen hat die EU-Kommission, vor allem auch auf der Grundlage des Art. 86,
den Prozeβ der Deregulierung der genannten Branchen vorangetrieben oder eingeleitet,
um dem System des diskriminierungsfreien Wettbewerbs naher zu kommen, obwohl die
wettbewerbspolitischen Ausnahmebereiche auf nationaler Ebene zum Teil bis heute
beharrlich verteidigt werden.8 Als solche unterliegen sie speziellen Ordnungsregeln -
als Ausdruck eines „vertikalen“ Integrationsverstandnisses, das von einer zweckmaβi-
gen Zerlegbarkeit des Marktgeschehens ausgeht (siehe Kapitel 5.).
Die groβen Wettbewerbspolitischen Verdienste der EU-Kommission und des EuGH
sind vor allem auch aus Sicht der deutschen Kaufer und Konsumenten unbestritten. Von
daher ware es wünschenswert, wenn sich die EU-Kommission und der EuGH noch star-
ker als bisher wettbewerbspolitisch in den Dienst einer erweiterten Binnenmarktintegra-
tion im Sinne des ersten Integrationsweges stellen konnte. Auf der Konferenz von Lis-
sabon (2000) ist jedenfalls der Grundsatz der offenen Marktwirtschaft mit freiem unver-
falschten Wettbewerb formal bekraftigt worden. Ermutigender Ausdruck dieses Vorha-
6 Siehe Fuβnote 1.
7 Gleiches gilt für die gemeinsame Handelspolitik als wichtige Handlungsgrundlage der Au-
βenintegration der EU.
8 In Deutschland und Frankreich ist der Geltungsbereich der Dienstleistungsliberalisierung
dadurch erheblich eingeschrankt worden, daβ es den Gewerkschaften und ihnen nahestehen-
den Verbanden und Parteien gelungen ist, für den Marktzugang und die Erbringung einer
Dienstleistung das Recht des Ziellandes durchzusetzen und damit die Wanderungsanreize zu
reduzieren (siehe auch Smeets, i. d. Bd.).