Wettbewerbs- und Industriepolitik
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5.2. Auf dem Dritten Weg zwischen Wettbewerbs- und Industriepolitik
Die Erweiterung des Aufgabengebietes von Art. 2 des Rom-Vertrages (1958) durch
den Maastrichter Vertrag (1992) ermoglicht unter Berufung auf den Auftrag, dem „wirt-
Schaftlichen und sozialen Zusammenhalt“ zu dienen, eine weitgehende Erganzung und
Durchdringung des Konzepts der Marktintegration mit Elementen eines politisch-
bürokratischen Interventionismus. Damit kann die EU-Integration weit über die Siche-
rung des bisherigen Verstandnisses der Wettbewerbspolitik hinausgehen: einmal im
Hinblick auf eine Erweiterung der Zustandigkeiten der EU gemaβ Art. 3 mit dem Ziel,
auf den hier aufgezahlten Tatigkeitsfeldern eine Verbesserung der Lebens- und Arbeits-
bedingungen durch Beseitigung von Ungleichheiten anzustreben. Die damit geschaffene
Moglichkeit einer weitgehenden Ex ante-Harmonisierung nationaler Regeln der Gesell-
schafts-, Wirtschafts- und Sozialpolitik wird erganzt durch einen vergroβerten Hand-
lungsspielraum für interventionistische Zustandigkeiten, die - wie oben bemerkt - schon
immer von Frankreich, teilweise aber auch von der EU-Kommission angestrebt worden
sind. Mit der Expansion des Konzepts der Ex ante-Harmonisierung wird der Standort-
wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten eingeschrankt. Zum anderen kann mit dem
industriepolitischen Auftrag der EU-Kommission ein interventionistischer Punktualis-
mus entstehen. Durch diese beiden Hauptmerkmale des Dritten Weges wird die be-
reichsübergreifende (horizontale) Wettbewerbspolitik relativiert und zurückgedrangt.
Offensichtlich ist es Frankreich, trotz des Scheiterns der dargestellten industriepoliti-
schen Varianten, gelungen, aus seiner planifizierenden Denktradition und seiner Idee
vom „Einheitlichen Markt“ eine ordnungspolitische Grundlage für ein „neues politi-
sches Europa“ zu machen, wie der franzosische Premierminister Villepin (2005) formu-
liert. Zwar ist das „alte“ Planungskommissariat im November 2005 aufgelost worden,
doch sind die 160 Mitarbeiter zum groβten Teil in ein neues „Zentrum für strategische
Analyse“ überführt worden, das dem Premierminister direkt zuarbeiten soll.
In den Regeln des Wettbewerbs sieht Villepin das Charakteristikum einer Freihan-
delszone, nicht aber den strategischen Ansatzpunkt und die politische Triebkraft der
EU. Diese sieht er in der staatlich organisierten Bündelung der Mittel für anspruchsvolle
und konkrete Projekte. Hierzu zahlt Villepin z. B.
- ein koordiniertes Vorgehen gegen bestimmte Importe aus Drittlandern (aktuell etwa
gegen Textilien, Schuhe usw. aus China),
- einen „Dialog“ zwischen der Euro-Gruppe und der Europaischen Zentralbank, der
als Angriff auf die Erfüllung des geld- und wahrungspolitischen Auftrags und die
Unabhangigkeit der EZB angesehen werden muβ. Das würde im Widerspruch zum
„Maastricht-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Dezember 1993 stehen,
wonach „das Wahrungswesen dem Zugriff von Interessentengruppen und der an ei-
ner Wiederwahl interessierten politischen Mandatstrager zu entziehen (ist)“;
- eine weitgehend autarke Entwicklung der Landwirtschaft in der EU,
- die Gründung von ein oder zwei europaischen Instituten für Forschung und Techno-
logie in Frankreich mit einer Bündelung der „erforderlichen Investitionen“ in die
Forschung.