Wettbewerbs- und Industriepolitik - EU-Integration als Dritter Weg?



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Alfred Schüller

5.1.2. Politikintegration II: Industriepolitik der EU als indikative Form eines
punktuellen Interventionismus

Die Politikintegration in der EU stand von Anfang an nicht in der Versuchung des
Zweiten Weges, wohl aber in einem gewissen Konflikt mit dem Konzept der Marktin-
tegration, ausgehend von Frankreich. Hier entspringt die Neigung zum interventionisti-
schen Punktualismus der Auffassung von der Überlegenheit
kollektiver Verfahren der
Gewinnung, Koordination und Nutzung des Wissens in der Gesellschaft gegenüber der
wettbewerblich-marktwirtschaftlichen Methode. Im Widerspruch zum Konzept der
Marktintegration (Kapitel 3.) wird angenommen: Die Unternehmen denken in zu kurzen
Fristen, kleben an einem gegebenen Bedarf und an bekannten Technologien, interessie-
ren sich nicht, zu wenig oder zu zogernd fur aussichtsreiche Entwicklungen von mor-
gen. Die Marktwirtschaft ohne strukturbestimmende staatliche Führung neigt deshalb zu
Wachstumsschwachen und Stagnationskrisen. Um dies auszuschlieβen, bedarf es einer
mutigen, Vorausschauenden Technologieentwicklung - mit entschiedener Kraftebunde-
lung. Hierin wird die eigentliche Aufgabe einer staatlichen bzw. suprastaatlichen For-
schungs- und Technologiepolitik als Instrument des aktiv vorausschauenden Struktur-
wandels gesehen. Beamte und Politiker mussen die Unternehmen an die Hand nehmen
und ihnen die zukunftstrachtigen Entwicklungspfade zeigen - nicht auf imperative, son-
dern auf
indikative Weise als einem wichtigen Merkmal des Dritten Weges.

Der konzeptionelle Hintergrund kann einmal in den Implikationen der neoklassi-
schen Wettbewerbstheorie (siehe Kapitel 5.1.3.) gesehen werden, zum anderen in der
franzosischen Planification. Diese baut auf der Lehre von
Saint-Simon und dessen An-
hangern
, den Saint-Simonisten. auf. Angenommen wird: Das fur den wirtschaftlichen
und sozialen Fortschritt bekannte Wissen ist vorzuglich Wissenschaftlern und Techno-
kraten bekannt. Es bedarf der planmaβigen Erfassung und Lenkung, um es in konzent-
rierter Form nach Ingenieurmanier vom Reiβbrett aus effektiver nutzen zu konnen. Ho-
hepunkt dieses Denkens ist die Vorstellung: Die Gesellschaft als Gesamtheit kann und
sollte genau so strukturiert und gefuhrt werden, wie eine Fabrik betrieben wird (siehe
Schüller 2006).

Begonnen hat die Planification 1946 mit der Schaffung des „Commissariat général
du plan“ und mit gezielten Investitionsprogrammen. Diese wurden dann standig erwei-
tert. Als theoretische Stutze fur den Hauptansatz, die staatliche Investitionsforderung,
erwies sich die postkeynesianische Wachstumstheorie von
Harrod, Domar und anderen
Wissenschaftlern. In dieser mechanistischen Modellwelt wurden die entscheidenden
Einflusse der Ordnungspolitik im allgemeinen und der Wettbewerbspolitik im besonde-
ren auf den Wachstums- und Beschaftigungsprozeβ ausgeblendet. Deshalb ist der Erkla-
rungswert dieser Modelle hochst begrenzt.

Bei der Industriepolitik wird bei der Projektauswahl und -verwirklichung - im Zu-
sammenwirken von Staatsbeamten, Unternehmen und Wissenschaftlern - bis zu einem
gewissen Grad auf das Prinzip der Selbsterfullung vertraut. Freilich wird versucht, mit
finanziellen Anreizen nachzuhelfen, um das Verhalten der Beteiligten in Wirtschaft und
Wissenschaft so zu lenken, daβ das herauskommt, was staatlicherseits erwartet wird.



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