Wettbewerbs- und Industriepolitik
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In der EG wurden - den franzosischen Vorstellungen folgend - die für eine Ex ante-
Harmonisierung ausgewahlten Wirtschaftsbereiche (Montanbereich, Landwirtschaft)
dem Prinzip des horizontalen Wettbewerbs in der EU weitgehend entzogen. Mit diesen
Fallen einer vertikalen Integration wurde die Bildung branchenspezifischer „Einheits-
markte“ angestrebt. Auch der Verkehrssektor war hierfür vorgesehen. Und die führen-
den Unternehmer in zahlreichen weiteren Branchen und ihre Verbandsgeschaftsführer
waren schon auf europaischer Ebene zu Gesprachen zusammengekommen, um vorbe-
reitet zu sein, wenn „ihr“ Wirtschaftszweig drangekommen ware.
Auch die OEEC (Organization for European Economic Cooperation) war dem Ver-
fahren der vertikalen (branchenweisen) Integration zugeneigt. Dabei hatte von vornher-
ein erkennbar sein müssen: Eine additive Integration ist mit Blick auf vermeintliche
„Branchenbesonderheiten“ auf Marktlenkung angelegt und wird zu einer volkswirt-
schaftlich unzusammenhangenden Ressourcenallokation, wie sie von der Montan- und
Agrarunion her bekannt ist. Denn mit den Sonderordnungen für bestimmte Branchen
entstehen privilegierte Ausnahmen vom Grundsatz des offenen Marktsystems mit freiem
Wettbewerb. Die volkswirtschaftlichen Anpassungslasten, die im Gefolge eines standi-
gen Strukturwandels unausweichlich sind, werden den übrigen Bereichen des Marktsys-
tems aufgebürdet. Haufig entspringt daraus dann dort das Verlangen, diese Sektoren
ebenfalls gesondert zu ordnen.
Gegenüber der weiteren Anwendung der vertikalen Integrationsmethode sind in der
Bundesrepublik Deutschland vor allem von Wissenschaftlern begründete Bedenken
vorgebracht worden: Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium
hat in einem Gutachten vom 1. Mai 1953 über „Die Frage der wirtschaftlichen Integra-
tion Europas“ summarisch festgestellt: „Eine Serie von additiven Teilintegrationen kann
nicht als in Richtung auf die Schaffung eines Binnenmarktes wirksam angesehen wer-
den.“
Diese Erkenntnis hat sich im Wettbewerb mit der franzosischen Vorstellung vom
branchenweisen Fortschreiten des Integrationsprozesses schon bald auch in der Politik
durchgesetzt.19 Damals war Deutschland mit einer Praferenz für eine europaische Wirt-
schaftsverfassung des Wettbewerbs ordnungspolitisch noch ein führendes Land in der
EG und in der Welt. Auch konnte sich die Planification im internationalen Wettbewerb
der Systeme nicht durchsetzen. Die Ursachen für das Versagen liegen in konzeptionel-
len, insbesondere informationsokonomischen Schwachen dieser Ordnung wie
- in der mangelnden Zentralisierbarkeit des verstreuten Wissens über vielerlei Gele-
genheiten am Ort des wirtschaftlichen Geschehens,
- im systematischen informationsstrategischen Opportunismus der staatlicherseits
berufenen Wissenstrager,
19 Freilich hat dies einfluβreiche Politiker auch in Deutschland nicht davon abgehalten, aus (in-
tegrations-)politischem Opportunismus am Branchendirigismus festzuhalten. Vor allem mit
der Montan- und der Agrarunion glaubte man dem friedenstiftenden Ziel der europaischen
Integration dienen zu konnen. Ohnehin war in der EG von Anfang an ein durchgehendes
marktwirtschaftliches Integrationskonzept kaum gesichert. Dafür waren die ordnungspoliti-
schen Vorstellungen der sechs Gründungsregierungen zu weit auseinander.