Langfristige Wachstumsaussichten der ukrainischen Wirtschaft
Eine Modernisierung (Verjüngung) des Kapitalstocks dürfte noch für einige Jahre
Produktivitatsfortschritte ermoglichen, die zwar niedriger sind als in der Vergangenheit,
aber weiterhin in enger Verbindung mit der Investitionstatigkeit stehen.35 Der durch
die weltweite Finanzkrise verursachte Produktionsrückgang von 14% in 2009 hat eben-
falls Einfluss auf die mittelfristigen Wachstumspotenziale. Geht man davon aus, dass
2008 in etwa eine normale Auslastung der bestehenden Kapazitaten bestand, so ist zu
fragen, was der Nachfrageeinbruch für die Zukunft bedeutet.
In der Konsequenz ware mittelfristig (in einer Spanne von etwa 5 Jahren) von einem
geringeren Kapitalstockwachstum auszugehen. Das Potenzialwachstum auf Basis der
beiden Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital ware wahrscheinlich nur mit 1% - 1,5%
anzusetzen. Werden keine Kapazitaten abgebaut, so würde dies einen Wachstumsspiel-
raum für die nachsten Jahre erlauben, auch wenn die Investitionsquoten nur ausreichen,
um die Abschreibung zu ersetzten. Selbst mit niedrigen Investitionsquoten von etwa
20% konnte die ukrainische Wirtschaft also wieder wachsen, bis sie das BIP-Niveau
und die Kapazitatsauslastung von 2008 erreicht hatte. Dieses Szenario gilt aber nur,
wenn es gelingt einen Kapazitatsabbau zu vermeiden, was wesentlich von der Gestal-
tung des Nachfragemanagements, i.e. der staatlichen Wirtschafts- und Einkommenspoli-
tik, abhangt.
Ohne freie Kapazitaten ist das Wachstum der totalen Faktorproduktivitat deutlich
niedriger anzusetzen. Ist ein hoher Technologieimport nicht moglich, so ergeben sich
die Produktivitatsfortschritte im Wesentlichen durch effizientere Allokation. Dieses
aber stellt die hochsten Anforderungen an die Rahmenbedingungen der Wirtschaft.36
Dies gilt allerdings auch für den Fall, dass die Option hoher Technologieimporte ge-
nutzt werden kann.
B.3 Bewertung: Wachstumsfordernde versus Wachstumshemmende
Faktoren
Auf Grundlage der in B1 und B2 diskutierten Zusammenhange ergeben sich folgende
Schlussfolgerungen für langfristiges Wachstum in der Ukraine:
- Die Analyse der Wirtschaftsentwicklung zeigt, dass sich wesentliche Faktoren
des Wirtschaftlichen Wachstums bis 2008 weitgehend erschopft haben (Verbes-
serungen bei den Terms of Trade und Existenz hoher Überschusskapazitaten).
Künftig werden „einfache“ Produktivitatssteigerungen durch den Abbau der Ü-
35 Insofern wird auch zukünftig das growth accounting keine klaren Aussagen über die Beitrage des Ka-
pitals bzw. residuals (TFP) machen konnen. Die Methodologie des growth accounting setzt eine effizien-
te Altersstruktur des Kapitalstocks voraus und rechnet die Effekte der Verjüngung des Kapitalstocks der
totalen Faktorproduktivitat zu.
36 In manchen Landern, wie China, gelang ein hohes Wachstum der Faktorproduktivitat trotz mannigfa-
cher ordnungspolitischer Missstande. Dies ist aber - anders als in der Ukraine - zu einem groβen Teil
durch eine gigantische Reallokation von Arbeitskraften aus dem landlichen Raum in die Industrie und vor
allem Bauwirtschaft moglich geworden. Diese Reallokationspotenziale aus sektoralen Verschiebungen
sind in der Ukraine wesentlich geringer.
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